Die Chronik der Alten Strickerei in Apolda

Die Strickerei-Ära der Familie Jacobi-Wegner von 1876 bis 2005 in 1 Anwesen, in 5 Geschichtsepochen und Fakturierung in 6 Währungen

In dem Gebäudeensemble befand sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts ununterbrochen eine Strickfabrikation, seit 1883 die der bereits 1876 gegründeten Robert Jacobi AG, die diese zunächst nur in dem um 1750 gebauten Stammhaus, welches Teil eines ehemaligen Nonnenklosters war.
Der Betrieb entwickelte sich so gut, dass um die Jahrhundertwende 1900 weitere Bauten erforderlich wurden, so der vordere Klinkerbau, dann die Seitengebäude und 1908 arrondierend das hintere Klinkergebäude.
Der Betrieb war ein sog. Verlegerbetrieb, der die Warenmuster entwarf und die Strickstoffe durch eine Vielzahl von ca. 50 selbstständigen Lohnstrickereien stricken ließ. Die Weiterverarbeitung erfolgte dann im eigenen Hause sowie über Heimarbeit von Näherinnen. Der weltweite Vertrieb der Waren an die Kundschaft in alle Kontinenten und Klimazonen erfolgte durch die Firma selbst. Dieses in Apolda übliche arbeitsteilige Geschäftsmodell war sehr erfolgreich und sicherte zahlreichen kleinen und mittleren Betrieben ihre Existenz. Robert Jacobi starb 1908, die Söhne Arthur und Erich Jacobi traten die Nachfolge an.

Erster Weltkrieg, die schwierigen Nachkriegsjahre, Weltwirtschaftskrise und der frühe Tod von Arthur und Erich Jacobi in den Jahren 1928 und 1932 machten eine Umstrukturierung der Firma notwendig. Der Schwiegersohn des Gründers, Fritz Wegner gründete 1933 die Wegner Strickmoden vormals Robert Jacobi AG und führte diese zum Erfolg. 1938 beschäftigte diese fast 1000 Menschen, ca. 200 im eigenen Haus und 700-800 außerhalb in Lohnstrickbetrieben, Häkelfaktoreien und Heimkonfektionärinnen.

Während des 2. Weltkrieges wurde als Kompensation für den kriegsbedingten Umsatzeinbruch von hier aus eine großangelegte Reparaturaktion der Apoldaer Strickindustrie für gebrauchte Strickwaren aus dem gesamten Reich mit ihren logistischen Herausforderungen organisiert und zentral geleitet.

Die nach 1945 eingeleitete sozialistische Umgestaltung zur volkseigenen Planwirtschaft erforderte die eigene Herstellung der Strickstoffe. 1948 starb Fritz Wegner und seine schon 62 Jahre alte Witwe Gertrud Wegner, Tochter des Gründers übernahm die Leitung. Der für die Nachfolge vorgesehene Sohn Dr. Rolf Wegner kehrte nach dem Krieg zunächst und dann endgültig nicht nach Apolda zurück und zog ein Leben unter freiheitlichen Bedingungen für sich und seine Familie in der Bundesrepublik der Leitung der Firma vor.

1959 wurde der Firma eine 35%ige Beteiligung des Staates abgenötigt und machte diese zum sog. halbstaatlichen Betrieb (BSB), der unter diesen Umständen bis 1972 immerhin teilweise noch privatwirtschaftlich strukturiert arbeiten konnte. Es wurde nicht nur für das Inland produziert, sondern auch für die sozialistischen Bruderländer und ebenso –unter unverfänglichem Label – für Versandhäuser der Bundesrepublik.
Nachdem das Staatsoberhaupt der DDR, Erich Honecker, Apolda als „ eine kapitalistische Insel im sozialistischen Meer“ geächtet hatte, erfolgte 1972 die alle BSB treffende endgültige Zwangsenteignung und Vollverstaatlichung auch der Fa. Wegner zum VEB Glockenruf.
1974 wurde diese mit 4 anderen ehemals selbstständigen Betrieben zum VEB Modische Strickwaren Apolda verschmolzen. Der Betrieb wurde nun vollends unter sozialistischen Bedingungen geführt, der Maschinenpark wurde im Rahmen des Möglichen erneuert, aber die Gebäudesubstanz wurde aufgebraucht und verschlissen.

Nach Zusammenbruch der DDR gründete der Urenkel von Robert Jacobi, Dr. Fritz-Jürgen Wegner die Wegner Strickmoden GmbH und kämpfte mit der Treuhand um die Rückübertragung des Betriebes, dessen Vermögen rechtlich noch in Treuhandbesitz war, was schließlich 1993 gelang.

Die neue Firma startete mit 103 übernommenen Mitarbeitern. Neben einem brachenkundigen Geschäftsführer war der alleinige Gesellschafter Dr.Fritz Wegner ab 1995 ebenfalls in der Geschäftsführung tätig. Es wurden marktfähige und qualitätsgerechte Produkte entwickelt.. Ständige Rationalisierungsschritte verbesserten die Kostenstruktur. Es wurden Marktanteile in einem gesättigten Markt besonders in den neuen Bundesländern erreicht. Die Firma hatte über 600 Kunden gewonnen, darunter auch einige im Ausland.
1998 und 1999 erreichte sie in einer Blitzumfrage der Branchenzeitschrift „ Marktintern“ im Einzelhandel von 100 einschlägigen DOB-Herstellern in der Gesamtwertung von 6 verkaufsrelevanten Kriterien Platz 1 (98) und 2 (99) erreicht.
Trotz dieses enormen Leistungsprofils ließ die schwierige Situation im klassischen Einzelhandel, der enorme Preisverfall und Wertverfall von Modeprodukten durch den Preiskampf am POS , die konjunkturbedingte Kaufzurückhaltung gegenüber Qualitätsware, preisaggressive Anbietern von Kleidung die Zahl von solventen Einzelhandelskunden schrumpfen , so dass auch die Geschäftstätigkeit der Firma Wegner Strickmoden sinnlos wurde, da ein wirtschaftlicher Erfolg nicht mehr zu erwarten war. Deshalb wurde der Geschäftsbetrieb mit zuletzt 38 Mitarbeitern im 134.Jahr der Firmengeschichte 2005 rechtzeitig, geordnet und ohne Insolvenz eingestellt.


Historische Bezeichnungen der Gebäudeteile

… der ehemaligen Strickerei der Familie Jacobi-Wegner, der Firma Wegner Strickmoden GmbH, vormals Fritz Wegner KG vormals Robert Jacobi AG. Ritterstr. 37 in Apolda

MUSTEREI
Dieses 1900 erbaute Backsteingebäude wird Musterei genannt. Idee, Entwurf, technische Umsetzbarkeit derselben im Hinblick auf den Modetrend und die Ansprüche der eigenen Zielgruppe und Anfertigung der Mustermodelle für eine Kollektion von ca. 100 Teilen pro Saison stehen am Anfang des Herstellungsprozesses. Alle Strickmuster werden elektronisch am Bildschirm des Musterstrickers programmiert. Die Schnittführungen und Schnittschablonen werden CAD-gestützt entworfen und hergestellt. Die Schablonen aus festem Papier für jede Größe werden zum Ausschneiden der Strickteile aus den Stoffbahnen benötigt. Das Team besteht aus Mitarbeitern des Designs, Musterprogrammierung, Schnittgestaltung und Musteranfertigung.

STRICKEREI
Dieser 1909 errichtete U-förmige Bachsteinbau ist nach dem Herzstück einer jeglichen Strickwarenfabrik benannt. Hochmoderne Strickautomaten fertigen gemäß den jeweiligen EDV- Musterprogrammen die Strickbahnen aus den vorgesehenen Garnen für die jeweiligen Modelle in der benötigten Stückzahl. Die Stricker richten die Strickautomaten für die jeweiligen Aufträge ein, starten das entsprechende Strickprogramm und achten auf fehlerfreies Stricken der Strickautomaten, wechseln oder stecken Garnkoner nach und liefern die gefertigten Strickstoffpartien zur Weiterverarbeitung an die Konfektion.

NÄHSAAL
Das Gebäude zwischen Musterei und Strickerei wird mit Nähsaal bezeichnet. Dort werden die Strickstoffe weiter konfektioniert zum fertigen Produkt. Zunächst werden die Strickbahnen mit großen Dämpfautomaten platiniert und aufeinander gestapelt. Auf diese Stapel werden die Musterschablonen gelegt und mit Elektromessern die Strickteile –Vorderseite, Rücken, beide Ärmel und ggfs. weitere Teile – aus dem Stapel ausgeschnitten. Die Schnitteile werden anschließend von den Näherinnen mit unterschiedlichen Nähmaschinen und Ketteln je nach Art der Naht zusammengefügt sowie ggfs. mit Knöpfen, Reißverschlüssen, Etiketten etc. versehen. Abschließend werden die fertigen Produkte gedämpft (= gebügelt), qualitätskontrolliert, zusammengelegt, in Schutzhüllen verpackt und gekennzeichnet. Von dort gehen sie in das Fertigwarenlager. In dieser Abteilung arbeiten die meisten Mitarbeiter die sog. Konfektionärinnen.

LIEFERSTUBE
Fertigwarenlager und Versand befinden sich in dem als Lieferstube benannten Gebäude. Dort werden die Aufträge der Kunden aus dem Fertigwarenlager zusammengestellt, Lieferscheine und Rechnungen gedruckt, in die Pakete gepackt und versandfertig zur Auslieferung über Paketdienste gebracht.

KONTOR
Mit Kontor ist das Stammhaus bezeichnet, das etwa aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammt und ursprünglich das Hospiz eines hier gelegenen Nonnenklosters beherbergte. Spätestens seit Mitte des 19.Jahrhunderts gehörte das Haus zu einer der Strickmanufakturen des Christian Zimmermann, dem Begründer der industriellen Strickherstellung in Apolda. Von diesem kaufte 1883 Robert Jacobi das Anwesen, in welchem bis zuletzt die drei Funktionsbereiche Buchhaltung, Vertrieb und Geschäftsleitung sich befanden.